Zur Geschichte des Festtagschors Prättigau
Der „Kirchenchor Saas“
Der „Ur-Vater“ des heutigen Festtagschors Prättigau war der im Jahre 1969 gegründete Kirchenchor Saas. Jener Dorfverein wurde gegründet vom damaligen Dorfpfarrer Fortunat Guidon und mit dem im Jahre 1968 aus dem Aargau ins Prättigau ausgewanderten Gemeindekanzlisten und Organisten Rolf Rauber (damals Küblis). Dieser Dorfverein, ursprünglich zusammengesetzt aus Einwohnern des eigenen Dorfes, pflegte ein intensives Proben- und Auftrittsleben. Jeden Monat sang der Chor – wie es sich damals für einen Kirchenchor gehörte und wie es auch die Satzungen des Schweizerischen Kirchgesangbundes vorsahen – mindestens einmal im Gottesdienst. Ueber das Jahr verteilt erfolgten auch immer wieder Kirchenkonzerte mit mehr oder weniger anspruchsvoller Literatur. Der damals rund 35-köpfige Dorfchor scheute sich aber nicht davor, auch grössere Werke, so zum Beispiel die „Glashütter-Passion“ aus der Spätrenaissance oder Kantaten von Dietrich Buxtehude etc. einzustudieren. Oft wurde damals mit dem Prättigauer Talorchester zusammenmusiziert. Dies war eine anfangs der Siebzigerjahre entstandene Instrumentalformation mit praktisch alles Laienspielern aus dem Tal. Das Prättigauer Talchorchester stand wie der Kirchenchor Saas von Anfang an unter der Leitung ihres Gründers Rolf Rauber.
Immer wieder wurde aus der Chorvereinigung lautbar, es möchte auch weltliche Literatur gesungen werden. Zudem legte man grossen Wert auf Geselligkeit. So traf sich der Kirchenchor im Anschluss an die Wochen-Proben fast traditionell bei einem seiner Mitglieder zum „Gaffenen“. Fröhliche, unvergessliche Stunden der Gemeinschaft! – Um die Vereinskasse auf Trab zu halten, kam dann in den 80er-Jahren die Idee von jährlichen Theateraufführungen im Rathaus-Saal auf. Schon nach den ersten Aufführungen war der Kirchenchor Saas mit seinen Schwänken im Rathaus Geschichte. Köstliche Aufführungen wie „Gäld regiert d’Wält“ oder „Zoberscht husend ds’Engels“ sind bis heute unvergessen!
Die Entwicklung von Dorfvereinen zeigte in den 90er-Jahren eine allenthalben abnehmende Tendenz. Der Wunsch nach öffentlicher menschlicher Gemeinschaft wich der Verindividualisierung. Zuerst nahm das Wochenprogramm des inzwischen in jeder Wohnstube installierten Fernsehgerätes immer mehr Interesse in Anspruch. In späteren Jahren folgte zusätzlich das Internet, das jedem Benutzer praktisch alles, was und zu welcher Zeit er sehen oder hören will, direkt auf die Mattscheibe liefert.
Für viele Dorfvereine, ungeachtet ob kulturell oder sportlich, wurde es eng. Traditionelle Gemeinschaften mit Vereins-Statuten verloren an Interesse; Nachwuchs blieb grösstenteils aus. Es galt somit auch für den Kirchenchor Saas, eine Auslegeordnung vorzunehmen und neue Perspektiven ins Auge zu fassen. Der Blick über die Gemeindegrenze war gefragt. Und er trug Früchte.
Bereits in den 80er-Jahren gesellten sich viele Mitglieder des einstigen Kirchenchors Jenaz zum Saaser Dorfchor. Dir Kirchenchöre Jenaz und Saas hatten schon vorgängig öfters zusammengearbeitet und gemeinsame Projekte realisiert (Festspiel „75 Jahre Bäuerinnenschule Schiers“, Kirchenkonzerte, Teilnahme an Sängerfesten). Der schrumpfende Kirchenchor Saas bekam damit wieder Zuwachs und erreichte anfangs der 90-er Jahre seine Mitglieder-Höchstmarke von über 50 Vereinsangehörigen.
Dies war wohl der Mitglieder-Höhepunkt dieser Vereinigung. Was sodann unaufhaltbar am Vereinsbestand nagte, waren das zunehmende Alter der Mitglieder, Abwanderungen, anderweitige Interessen etc. Bis zur Jahrtausendwende vermochte sich der Gesangsverein in seiner bisherigen Form und in seinen gewohnten Zielsetzungen zu halten. Die weiterhin schrumpfende Mitgliederzahl verlangte aber erneut nach einem Leitbild und Absichtserklärungen. Mit Nachdruck wurde festgehalten, dass dieser Gemischte Chor im Mittelprättigau erhalten werden müsse. Etliche Auszeichnungen an Sängerfesten und immer wieder mit Rekordzahlen besuchte Konzerte liessen eigentlich gar keine andere Wahl. Wie aber weiter?
Umwandlung in Projektchor Mittelprättigau“und später in „Festtagschor Prättigau“ (und „Madrisachor“)
Der seit Anbeginn des Chores tätige Leiter, Rolf Rauber, liess nicht locker. Der Kirchenchor Saas existierte seit seiner Gründung ohne Statuten; wichtig war allein die Freude am Mitmachen. Alles andere war Nebensache. So bestand auch keine „gesetzliche“ Grundlage für den Gesangsverein, weder für seine eigentlichen Aufgaben, noch für seine künftigen Absichten.
Im Jahre 2006 entschlossen sich die Sängergemeinschaft und ihr Gründer /Leiter, nach einer neuen, erfolgreichen Zukunft Ausschau zu halten. Im eigenen Dorf waren die Möglichkeiten dazu beschränkt. Gedanken nach einer Ausweitung in die Region versprachen Erfolg. Zu jener Zeit gab es zwar bereits regionale Gesangsvereinigungen, nämlich der Gemischte Chor der Evangelischen Mittelschule Schiers (dem auch Talbewohner angehören dürfen), der Projektchor der Musikschule Prättigau (hauptsächlich auf Pop-, Rock- und Musicalmusik ausgerichtet) sowie der Bauernchor Prättigau, dessen Mitglieder sich zumeist aus Bauersleuten zusammensetzte. Der Bauernchor war über Jahrzehnte auch bekannt für seine grossen und beliebten Volkstheater-Vorstellungen. Der einstige regionale Männerchor „Talverein“ hatte sich inzwischen mangels Mitglieder gänzlich aufgelöst.
Nun stellte sich für den Kirchenchor Saas die konkrete Frage, wie er sich in dieses Gebilde bereits bestehender regionaler Chöre einfügen konnte. Als künftiger „Projektchor Mittelprättigau“ fand er dabei Platz und Gehör. Bereits im ersten Jahr seiner Neuformation betrug seine Mitgliederzahl über über 90 Personen. Dem entsprechend musste auch das Programm gestaltet werden. Rolf Rauber setzte dabei den Joker auf grosse Werke. Die Einstudierung und Aufführung der „Matthäus-Passion“ des barocken Komponisten Johann Valentin Meder –eines echten Zeitgenossen von Johann Sebastian Bach – sprengte den bisherigen Rahmen des Gemischtenchores. Zusammen mit einem Ad-hoc Orchester und klassischen Solisten wurde das über zwei Winter eingeübte Werk in der Passionszeit 2008 zu einem weit über die Talgrenzen hinaus beachteten und viel gerühmten Erlebnis für alle. Aufführungen fanden in den Dorfkirchen des Tales, aber auch in der Klosterkirche Pfäfers statt. Ein erstes Zeichen war gesetzt; das Verlangen nach Weiterführung lag auf der Hand. Es folgte nach zwei Jahren ein noch imposanteres Werk: die „Grosse Friedensmesse“ des zeitgenössischen und weltbekannten deutschen Komponisten und Chorleiters Gotthilf Fischer. Diese Aufführung fand derart Gehör, dass der Projektchor Mittelprättigau seine Aufführung sogar in der Evangelischen Kirche Zürich-Hard wiederholen konnte. Der Chor wurde immer grösser. In einem Zwischenjahr führte die Sängergemeinschaft die „Deutsche Messe“ von Franz Schubert in noch nie gehörter Fassung auf, nämlich als Doppelchor. Zeilen oder Strophen wurden wechselweise ab der Empore oder aus dem Chorraum oder gemeinsam mit allen Stimmen gesungen. So wurde das Werk zu einem geradezu quadrophonischen Erlebnis und stiess auf grosses Echo.
Der Mitgliederbestand des Projektchors Mittelprättigau nahm nicht ab. Im Gegenteil: Mitte des ersten Dezeniums im neuen Jahrtausend erreichte der Chor seine Mitgliederhöchstwerte von über 100 Personen. Es waren neue Aufgaben gefragt. Zwischenzeitlich etablierten sich Werke des Toggenburger Komponisten Peter Roth immer mehr in vielen Kirchen des ganzen Landes. Diese teilweise von volkstümlichen Elementen geprägte Kirchenmusik geht bei Ausführenden und Zuhörern tief zu Herzen. Aus diesem Grunde wählte Rolf Rauber für ein nächste Projekt vorerst die „Toggenburger Kirchenmusik“ dieses Komponisten, bestehend aus den Kantaten „Licht und Schatten“ und „Juchzet und singet“. Ein Instrumentarium, unter anderem mit der original Appenzeller Streichmusik Küng, begleitete den grossen Klangkörper; zudem wurden die Musikwerke durch professionell gelesene Zwischentexte verbunden. Erneut ein gewaltiges Echo aus der ganzen Region und weit über die Kantonsgrenzen hinaus! Dies wiederum verpflichtete. Zwei Jahre später sang der Projektchor Mittelprättigau sein bisher wohl grösstes Werk: die weit über die Landesgrenzen hinaus bekannte „Toggenburger Passion“ von Peter Roth. Von Peter Guler-Lutz (Text) und Rolf Rauber (Musik) wurde dieses eindrückliche Werk auf „Prättigauer Art“ umgeschrieben und vom Chor an der Aufführung teilweise sogar szenisch dargestellt. „Eindrücklich, ergreifend, berührend..“ waren Kommentare von gegen 2000 Zuhörer an den verschiedenen Aufführungen. Erstmals wurde „vor der Chlus“ aus Platzgründen nicht mehr die Klosterkirche Pfäfers, sondern das Forum Ried in Landquart als Aufführungsort gewählt. Zu Recht, wie sich zeigte. Dieser Konzertsaal war an jenem Karfreitag bis auf den letzten Platz besetzt….
Nach diesen Grossaufführungen stellte sich der Leiter der Chorgemeinschaft für sich selber die Frage, wie nun weiter. Er war bereits etwas in die Jahre gekommen und Projekte in solcher Dimension waren schliesslich auch eine Frage der Verantwortung und Finanzierung. Ohne Vereinsstatuten und mangels offizieller Vereinsform waren das berechtigte Fragen. Veranstaltungsbudgets von gegen 80‘000 Franken gehörten schliesslich zum Durchschnitt und nebst Einnahmen aus den Konzertkollekten war der Projektleiter jeweils auch immer auf wohlwollende Sponsoren angewiesen. Schliesslich entschied sich der Chorleiter, weiterhin auf eine eigentliche Vereinsform zu verzichten, ebenso inskünftig aber auch auf Projekte in bisherigem Ausmass.
Auf Drängen vieler Mitsängerinnen und Mitsänger entstand dann aus dem bisherigen „Projektchor Mittelprättigau“ schliesslich der “Festtagschor Prättigau“. Wieder eine Gesangsformation ohne Statuten und unter der bisherigen Stabführung des Gründers und Leiters. Der Sängerbestand reduzierte sich zwar vorerst erheblich, zumal gerade Sänger aus der Peripherie Davos sich wieder vermehrt gemeindeeigenen Chorgemeinschaften zuwendeten. Aber kaum begonnen, stieg die Anzahl der Sangesfreudigen im „neuen“ Festtagchor wieder auf über 70 Mitglieder. Die Zielsetzung des Festtagschores wurde zur künftigen Symbiose des ursprünglichen Kirchenchors Saas und dem aus ihm hervorgesprossenen regionalen Projektchor Mittelprättigau. Statt wie bisher oft in „nur“ einer Kirche in Gottediensten mitzuwirken, wurde das Chor-Angebot nun ausgedehnt. Je nach Interesse trat der Chor inskünftig in verschiedenen Kirchen des Tales und mit verschiedensten musikalischen Beiträgen auf. Ebenso fehlten aber auch weltliche Auftritte nicht. Der wohl imposanteste Akt dieser Stilrichtung fand auf Saaser Alp „Madrisa“ statt. Dort wirkte der Festtagschor Prättigau zusammen mit dem Männerchor Klosters-Serneus unter gleicher Leitung als sogenannter„Madrisachor“ im Dezember 2016 bei der Neueröffnung mit und wurde von der Bergbahn dafür sogar mit einem eigenen Uniformhemd mit dem Madrisa-Emblem ausstaffiert. An dieser Feier sang der Chor auch das neue „Madrisalied“ als Uraufführung und wurde frenetisch applaudiert. Als so benannte Chorvereinigung trat der „Madrisachor“ alsdann unter anderem beim Glarner Kantonalgesangfest und ein Jahr später beim Bezirksgesangsfest Nordbünden in Maienfeld auf. Wie bereits Jahre zuvor in Altstätten SG brachte der über 100-köpfige Gemischtenchor auch hievon immer wieder Attribute mit Höchstauszeichnungen nach Hause.
Im Sängerjahr 2017/18 erhielt der Chor erneut verschiedene Auftritts-Einladungen: so u.a. in Fideris, Klosters, in Seewis-Pardisla und für die Taufstein-Einweihung an Ostern 2018 in der katholischen Kirche Klosters. Erneut mit einem Werk von Peter Roth: der „St. Johanner Messe“. Tief ergriffen von der wohlklingenden Chormusik, die erstmals auch mit einem Gesangsquartett aus den eigenen Chor-Reihen zu Gehör kam. Die Begeisterung darüber hielt sich kaum in Grenzen!
Zum Abschluss des Sängerjahres 2017/18 unternahm der Festtagschor Prättigau Mitte April 2018 eine Vereinsreise ins Paraplegikerzentrum Nottwil und gab dort ein Frühschoppenkonzert. Weitere Auftritte stehen bereits wieder an: die Mitwirkung im evangelischen Regionalgottesdienst in Jenaz Ende Mai 2018 und andere, zum Teil noch geplante Überraschungen.
Bereits zeichnet sich das neue Sängerjahr 2018/19 ab. Gleichsam zum „50-jährigen Bestehen“ des Chores (der Kirchenchor Saas als Stammvater existiert ja seit Winter 1969/70) stehen musikalische Leckerbissen in Aussicht. Die vom Stammchor einst in den frühen Jahren seines Bestehens mehrmals gesungene responsoriale „Glashütter-Passion“ aus der Renaissance-Zeit wird die Passionstage 2019 bereichern. Das vom klassischen österreichischen Komponisten Johann Michael Haydn verfasste „Deutsche Hochamt“ wird alsdann an einer vorgesehenen besonderen Messfeier in der Katholischen Kirche im Sommer 2019 mit spezieller Instrumentalbegleitung erklingen.
Ehrenmitglieder
Auch wenn weder der ehemalige Kirchenchor, der Projektchor Mittelprättigau und der jetzige Festtagschor Prättigau eine statutarische Grundlagen besitzt, Ehrenmitglieder gibt es in seiner Mitte allemal. Es sind dies die seit der Gründung des Kirchenchors Saas treuen Mitglieder
– Johann Georg Gredig (jahrzehntelanger Vereinspräsident)
– Anni Hartmann-Roffler, Saas
und seit kurzem die grosszügige Vereinssponsorin Julia Gnos aus Klosters
Aussichten und Wünsche
Wer die vorstehende Vereinsgeschichte liest, empfängt nur Fragmente aus einer 50-jährigen, stark belebten und unvergesslichen Chor-Gemeinschaft. Vielleicht sind es gerade fehlende Statuten, die den Zusammenhalt dieses Chorkörpers so geprägt haben. „Man fühlt sich einfach wohl“ sind Kommentare sowohl ältester, als aber auch seit erst jüngster Zeit zugehöriger Sängerinnen und Sänger. Und darauf ist ihr unentwegter Leiter, Rolf Rauber, ganz besonders stolz. So bleibt in seinem Sinne zu hoffen, dass die heute nun „Festtagschor Prättigau“ bezeichnete Sängervereinigung ihrem Namen noch viele Jahre gerecht werden kann…
Rolf Rauber, Ende April 2018